COVID 19 und Interviews mit kompetenten Ansprechpartnern aus Deutschland und der Tschechischen Republik

Veröffentlicht Šárka

Deutschland und die Tschechische Republik sind in den letzten 25 Jahren zusammengewachsen. Lesen Sie Interviews über COVID-19 mit Experten, die in gleicher Branche arbeiten, aber in einem anderen Land leben: der Tschechischen Republik und Deutschland.

Thomas Schenk

Thomas Schenk (Bildquelle: Thomas Schenk)

Thomas Schenk ist ein deutscher Produzent und Mitbegründer des Youtuber-Kanals eingeSCHENKt.tv.

nachbarland-cz.de: Herr Schenk, inwieweit stellt COVID-19 eine Bedrohung dar?

Thomas Schenk: Das Virus kann dazu dienen, einen Grund zu haben, das Wirtschafts– und Finanzsystem zusammenbrechen zu lassen und mit dem Virus einen „Schuldigen“ zu haben. 2017 / 2018 waren 25000 Grippetote. Menschen mit schwachen Immunsystem sterben an einer Grippe. Nicht erst seit COVID-19, sondern schon immer. Das war schon immer so. Auch dieses Jahr. Es ist nicht schön, aber die Panik jetzt ist einfach schädlich und kontraproduktiv.

Neumann Ondřej, zdroj HlidaciPes.org

Ondřej Neumann (Bildquelle: HlidaciPes.org)

Ondřej Neumann ist ein tschechischer Mitbegründer und Direktor des Instituts für unabhängigen Journalismus in der Tschechischen Republik. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität.

nachbarland-cz.de: Herr Neumann, laut dem veröffentlichten Quartalsbericht des Ministeriums für Industrie und Handel (MIT) "Analyse der Entwicklung der tschechischen Wirtschaft - Oktober 2019" wuchs die tschechische Wirtschaft trotz der Abschwächung der Auslandsmärkte und der wachsenden Unsicherheit im Außenumfeld weiterhin solide. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im zweiten Quartal 2019 gegenüber dem Vorjahr um 2,8 % und konnte damit das Tempo des Vorquartals beibehalten. Welche Auswirkungen wird COVID-19 auf die Wirtschaftslage in der Tschechischen Republik haben?

Ondřej Neumann: Kurzfristige, aber riesige. Mittlerweile erleben wir chaotisch auferlegte strenge restriktive Maßnahmen. Die Menschen haben Angst und sind gestresst. Sie sind unsicher und können daher leicht zum Schweigen gebracht werden. Die Zahl der Selbständigen, die im Glauben an die Illusion von Sicherheit einen neuen Arbeitsplatz bekommen, wird zunehmen. Ich befürchte eine noch stärkere Konzentration des Eigentums in den Händen einer engen Gruppe der reichsten Menschen und Finanzgruppen. Der Staat wird sich um die Arbeitnehmer kümmern auch wegen der Stimmen bei den Wahlen. Früher oder später wird die Pandemie vorbei sein. Der wirtschaftliche Abschwung wird sehr weh tun. In zwei oder drei Jahren wird fast alles sein wie vor der COVID-19-Zeit.

Andy Schäfer, Quelle Anastasiia Preuss

Andy Schäfer (Bildquelle: Anastasiia Preuss)

Andy Schäfer ist ein deutscher Dozent für Deutsch als Zweitsprache und studiert nebenbei Soziologie mit dem Schwerpunkt gesellschaftlicher Zusammenhalt und Konfliktbewältigung.

nachbarland-cz.de: Herr Schäfer, bringt das digitale Lernen und Digitalisierung durch die Corona-Krise mehr die Schwirigkeiten oder Chancen an deutschen Schulen?

Andy Schäfer: Was die COVID19-Pandemie deutlich gemacht hat, sind die Potentiale, die in der digitalen Bildung liegen. Sicher gibt es hier noch Nachholbedarf, vor allem was die technische Ausstattung der Schulen sowie die Schulung des Personals im Umgang mit digitaler Lernsoftware anbelangt. Inwieweit unser Bildungssystem auf die Anforderungen der Digitalisierung vorbereitet ist, lässt sich schwer pauschal beantworten. In den letzten Jahren hat sich gerade in diesem Feld schon viel bewegt. Spätestens seit diesem Jahr dürfte nun auch klarer sein, dass diese Angebote stärker genutzt werden können – auch um Schülerinnen und Schüler optimaler fördern zu können. Wichtig ist auch die soziale Frage: Wem stehen überhaupt die Mittel zur Verfügung, am digitalen Unterricht teilzunehmen? Das ist eine Frage, der sich das Bildungssystem in der Zukunft widmen wird.

Robert Čapek

Robert Čapek (Bildquelle: Štěpánka Richterová)

Robert Čapek ist tschechischer Dozent, Psychologe, Lehrer und Didaktiker. Čapek folgt dem Motto: „Wer gut unterrichtet, ist ein Künstler, wer schlecht unterrichtet, ist ein Verbrecher.

nachbarland-cz.de: Herr Čapek, aufgrund von COVID-19 ändert sich der Charakter von Schulen. Wie ist das Bildungssystem in der Tschechischen Republik?

Robert Čapek: Online Unterricht zeigt, wie ein Lehrer seinen Schülern ein gutes Verhältnis zu seinem Fach beibrachte und wie er ihre Lernfähigkeiten entwickelte. Wenn er es gut gemacht hat, ist es eine gute Basis sowohl für ihn als auch für die Schüler sich an diese Situation gut anzupassen. Diese Lehrer nutzen die Besonderheiten der häuslichen Bildung zum Nutzen der Schüler. Auf sie können wir stolz sein. Lehrer mit schlechter Qualität versuchen die Situation mit unverhältnismässig vielen Hausaufgaben an die Kinder mit Galgenfristen weiterzuleiten. Sie missachten unterschiedliche familiäre Bedingungen und zwingen die Kinder stundenlang vor dem Computer zu sitzen und behandeln Kinder sowie ihre Eltern auf arrogante Art und Weise. Die Eltern können den Online Unterricht genau beobachten, und ich denke, einige Eltern haben jetzt verstanden, wie schlecht oder tatsächlich gut die Ausbildung ihrer Kinder ist.

Chris Bürger Chemnitz

Chris Bürger (Bildquelle: Chris Bürger)

Chris Bürger wurde 1986 zu drei Jahren wegen „Vorbereitung zum illegalen Grenzübertritt in schwerem Fall“ verurteilt und verhaftet. Nach sechs Monaten Isolationshaft in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Karl-Marx-Stadt-Kassberg wurde er aufgrund einer Amnestie für politische Gefangene entlastet. Einen weiteren Fluchtversuch unternahm er über die deutsche Botschaft in Prag, wo er als deutscher Sprecher des Botschaftsflüchtlinge und als Organisator und Lagerleiter tätig war. Seine Geschichte ist im Archiv Paměť národa gespeichert. Jetzt betreut er die Zeitzeugen Kassberg-Gefängnises e.V.

nachbarland-cz.de: Herr Bürger, Sie haben Vieles erlebt genauso wie das Kassberg Gefängnis. Ist Corona-Zeit mit Diktatur vergleichbar?

Chris Bürger: Das Kassberg Gefängnis hat seit 1876 eine sehr wechselhafte Geschichte erlebt. Von der NS Zeit über die Zeit der russischen Besatzungszone bis zur größten Stasi U-Haft Anstalt in der DDR. Demzufolge war das Kassberg Gefängnis natürlich Repressionsort der kommunistischen Gewalt. Von 1963 – 1989 war es zudem, der logistische Dreh und Angelpunkt für den größten Menschenhandel den es je gab. Vom Kassberg Gefängnis wurden in der Zeit von 63-89 cca 33570 politisch Inhaftierte in die BRD freigekauft und abtransportiert. Daher hat das Kassberg Gefängnis auch den Beinamen: Das Tor zur Freiheit. Wer heute lauthals auf der Straβe steht und “ Diktatur“ ruft, hat entweder nicht begriffen, was eine Diktatur überhaupt bedeutet, und widerspricht sich auβerdem selbst, denn: Er/Sie darf heute seine Meinung laut kundtun. In einer Diktatur wäre derjenige, spätestens nach 10 min. von der Bildfläche verschwunden und für sehr lange Zeit eingekerkert.

Václava Jandečková

Václava Jandečková (Bildquelle: Jan Rasch)

Václava Jandečková ist eine tschechische Kommunismus-Forscherin, Publizistin und Schriftstellerin.

nachbarland-cz.de: Frau Jandečková, in Ihrem Verein Gesellschaft zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus z.s. bemühen Sie sich unter anderem darum, dass man die Verbrechen des Kommunismus nicht vergisst, in der Hoffnung, dass es sich nicht wiederholt. Sie urteilen nicht, sondern Sie erforschen geheime kommunistische Methoden. Wie ist Ihre Prognose zu COVID-19 im Bezug auf die Gesellschaft?

Václava Jandečková: Der gesunde Menschenverstand erwartete die zweite Welle. Wir müssen lernen, mit COVID-19 klar zu kommen, rücksichtsvoll zu sein, nicht um jeden Preis nur an sich zu denken.  Wenn wir versuchen die jetztigen Nachteile gut zu nutzen, wird es später für uns ein Vorteil sein, da wir die Zeit nicht sinnlos verschwendet haben. Die Leute haben Potenzial in sich, also werden sie es definitiv in andere interessante Projekte umsetzen. Neue Dinge werden entstehen, aber andere werden leider verschwinden. Auf der anderen Seite ist es nicht richtig, eine rosa Brille aufzusetzen und nicht zu versuchen, den Zugang zu wichtigen Informationen gesetzlich einzuschränken. Möge niemand ungünstige Situationen zu seinem eigenen Vorteil und zur Bereicherung auf Kosten anderer missbrauchen wollen. Wir dürfen der Angst nicht erliegen. Das ist gefährlich.

Ulrich Breßling-Rothe

Ulrich Breßling-Rothe (Bildquelle: Ulrich Breßling-Rothe)

Ulrich Breßling-Rothe ist Weltenbummler und Fotokünstler aus einem kleinen Dorf in Thüringen. 

nachbarland-cz.de: Herr Breßling-Rothe, laut R + V-Studie (www.ruv.de) wird die Angst vor Terrorismus in Deutschland im Jahr 2020 an erster Stelle stehen. Ist Angst gefährlich und wie viel Angst zirkuliert in der deutschen Bevölkerung von COVID-19?

Angst ist etwas ganz menschliches, sie schützt uns vor Gefahren oder brenzlichen Situationen. Ängste können aber auch negativ sein und uns in Isolation führen. Die Angst vor Terror in Deutschland ist in meinen Augen eher überschätzt.  Die Angst vor COVID-19 hat sicher auch etwas damit zu tun, daß dieses Virus etwas ist, was man weder sieht, es riechen oder es anfassen kann. Unsere Lebenswege werden auf jeden Fall durch die Ereignisse in 2020 zum Teil ordentlich über den Haufen geworfen. 

František Červený

František Červený (Bildquelle: František Červený)

František Červený arbeitete als tschechischer Bergsteigführer, jetzt ist er als freiberuflicher Projektant tätig. Seine großen Hobbys sind Reisen in exotische Länder, Sport und Fotografieren. Eine seiner Fotoausstellungen fand in Deutschland statt.

nachbarland-cz.de: Herr Červený, hat COVID-19 Ihre Lebensqualität beeinträchtigt?

František Červený: Dank vieler Jahre rumzureisen, habe ich gelernt, Entfernungen sowie Zeiträume abzubauen. In dem laufenden Jahr mit weniger Arbeit bin ich viel spontaner geworden. Ich denke, wenn ich am Ende des Jahres die diesjährigen Kilometer mit dem Fahrrad, Kajak oder zu Fuß in den Bergen zusammenfasse, werde ich feststellen, dass dies eines der stärksten Jahre in Bezug auf Reisen war. Mann muss sich der Situation nur anpassen und ganz anders reisen lernen.

Thomas Lang

Thomas Lang (Bildquelle: Thomas Lang)

Thomas Lang ist ein deutscher Historiker, wobei er sich mit der Geschichte „Deutschböhmens“ beschäftigt. Weiterhin ist er auch als Referent, Kurator und Musiker tätig.

nachbarland-cz.de: Herr Lang, wenn COVID-19 nicht als Krieg zu verstehen ist, hat das Virus denn kriegsähnliche Auswirkungen für das Kapitalismus?

Thomas Lang: Das derzeitige politische System hat groβe Mängeln in sozialer Gerechtigkeit und in der bestehenden neoliberalen Wirtschaft. Krieg ist allerdings sicher weitaus schlimmer. Krieg ist bewusst von Menschen gemacht. Coronavirus kann man höchstens als Waffe der Natur bezeichnen. Für mich ist die Hoffnung auf Frieden und Heilung sowie der Zustand des „nichts tun müssen“ eine Auswirkung, die mich ermutigt und Kraft gibt genauso wie bei den Menschen während des Krieges. Die Hoffnung, dass die Familie überlebt.

Martin Krsek

Martin Krsek (Bildquelle: Zdeněk Kompert)

Martin Krsek ist ein tschechischer Historiker und Publizist. Er versucht, die Verbindung der Menschen zum Geist des Ortes, an dem sie leben, zu stärken.

nachbarland-cz.de: Herr Krsek, sind die Menschen mit der Zeit, in der sie leben, unzufrieden und verstehen sie COVID-19 als Waffe?

Martin Krsek: Ein großer Teil der Bevölkerung ist oft unzufrieden mit dem aktuellen politischen System und lobt die früheren Regime mit unkritischer Nostalgie. Hier sehe ich es als besonders wichtige Aufgabe für Historiker an, die Vergangenheit nicht als eine Art Geschichte der Großeltern zu erinnern, sondern sie kritisch im Auge zu behalten. Nur uns bekannte Fehler können korrigiert werden. Meine Generation (40+) war immer noch durch Großmütter und Großväter mit direkten Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, was zum Beispiel meine Großeltern dazu veranlasste, Grundnahrungsmittel aufzubewahren. Der Einkaufsbummel zu Beginn der COVID-19 zeigte, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Situation als „kriegerisch“ einschätzte. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass dies kein adäquates Beispiel war. Der Wunsch zu überleben ist normalerweise der stärkste Instinkt. Generationen, die keine Kriege erlebt haben, können sich nicht einmal vorstellen, was ein Mensch ertragen kann.

Tatjana Jamnik

Tatjana Jamnik (Bildquelle: Krysztof Puchyra)

Tatjana Jamnik ist Bohemistin und arbeitet als freiberufliche Literaturübersetzerin. Sie übersetzt tschechische Autoren wie Alexandra Berková, Radka Denemarková, Egon Bondy und Ladislav Fuks. Sie ist Vorsitzende des Vereines (Kultur- und Künstlerverband Police Dubové), in dem sie tschechische Literatur in Slowenien und im Ausland fördert. Unter anderem organisierte sie auch hat Treffen slowenischer und deutscher Literaturübersetzer in Berlin sowie eine Tournee slowenischer Dichter in München, Berlin und Leipzig.

nachbarland-cz.de: Frau Jamnik, was erzählt uns COVID-19?

Tatjana Jamnik: Gegen das Virus zu kämpfen, ist schaffbar, allerdings nicht der Kampf gegen das autoritäres System. Es ist äußerst wichtig, dass wir mit unserem eigenen Kopf denken können, deshalb müssen wir viel lesen und unser ganzes Leben lang lernen. Nur so werden wir der Manipulation und Propaganda autoritärer Eliten nicht erliegen. Die SARS-COV-2-Epidemie hat gezeigt, dass das Hauptproblem nicht so sehr das Virus ist, sondern Regierungen, die die Macht missbrauchen, um die Freiheiten und Menschenrechte der Bevölkerung abzuschaffen und die Demokratie durch ein autoritäres System zu ersetzen. Anstelle von Politikern, die im Interesse des Volkes arbeiten, nutzen korrupte Regierungen die Macht, um engen Gruppen wohlhabender Menschen zu „dienen“. Und man sieht auch, wie gefährlich die Technosphäre ist. Wir überlassen das Management mehr einer Digitalgesellschaft, insbesondere der künstlichen Intelligenz. Der Mensch, der nur von künstlicher Intelligenz kontrolliert wird, ist nutzlos. Und das bertrifft nicht nur gewöhnliche Menschen, sondern am Ende auch die politischen und wirtschaftlichen Eliten.

Alexander Gumz

Alexander Gumz (Bildquelle: Dirk Skiba)

Alexander Gumz ist ein deutscher Lyriker, Redakteur und Veranstalter u.a. für das poesiefestival berlin und das Künstler*innen – Netzwerk KOOK. Er ist Mitbegründer der Festivals HAM.LIT. in Hamburg und Wortgarten in der Uckermark.

nachbarland-cz.de: Herr Gumz, wie verwandelt sich Literatur in COVID-19 Zeiten?

Alexander Gumz: Wie fast jedes andere Medium auch Literatur folgt der Dynamik einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft. Die Menge an – guten und schlechten – Büchern nimmt konstant zu, 95 % davon werden jedoch nur von interessierten Minderheiten gelesen. Ausnahmen der Regel sind vielleicht eine Handvoll Besteller pro Jahr. Ansonsten haben seit Jahrzehnten Hollywood-Blockbuster, Mainstream-Pop und TV-Serien die Rollen übernommen, die Literatur früher vielleicht einmal hatte. Falls das nicht bloß eine Verklärung ist. Auch damals hatte nicht jeder Bestseller das Format von Goethes „Werther“. Und nicht alle Leute haben pausenlos Bücher gelesen. Der Kapitalismus hat ja inhaltlich wenig zu bieten als Geldverdienen und Geldausgeben: Macht, Einfluss, Eindruckmachen sind direkt daran gekoppelt. Was da an „Werten“ bleibt: Nur der Starke gewinnt, verdient dieses Geld, die Macht, das Ansehen, und im Zweifelsfall selbst Schuld daran. Im Gegenzug: Wer schwach ist, ist ein „Loser“. Diese Mischung aus Unverfrorenheit und Inkompetenz, die man auch von Figuren in durchschnittlich geschriebenen Thrillern kennt, bevor sie von einer Katastrophe überspült werden – die spielt im Umgang mit Covid-19 leider tatsächlich eine prominente Rolle. Ansonsten finde ich den Stoff sehr geeignet für einen echt beklemmenden Paranoia-Roman (oder Film). De facto gibt es im Genre-Bereich aber auch vieles – teils schon aus den 1970er Jahren – was sich heute wie ein Corona-Drehbuch liest.

Thomas Tadler

Thomas Tadler (Bildquelle: Thomas Tadler)

Thomas Tadler ist ein immer optimistischer deutscher Sachbearbeiter von der Buchhaltung bis zur Geschäftsführerassistenz. „Lieber Rad, Zelt und Ruhe, als Jubel, Trubel, Heiterkeit in Hotspots der Tourismusbranche“, sagt er.

nachbarland-cz.de: Herr Tadler, bringt das COVID-19-Maβnahmenpaket viel Bürokratie und wenig Effizienz?

Thomas Tadler: Die meisten Maßnahmen haben sicherlich ihre Berechtigung, um das Gesundheitssystem am Laufen zu halten. In anderen wiederum sehe ich absolut keine Notwendigkeit und übertrieben, wie die Schließung von Restaurants, welche in den letzten Monaten viel Geld und Hirn investiert haben, um die Risiken zu minimieren. Lockdowns in gewissen Abständen zu verhängen, halte ich nicht für den richtigen Weg. Es kommen düstere Zeiten für die Wirtschaft und auch auf jeden einzelnen zu. Die tollen großen Förderpakete müssen ja auch irgendwie finanziert werden, was im Endeffekt wieder am kleinen Mann hängen bleibt. Auf der anderen Seite abwechslungsreiche Aufgaben, ein tolles Team und gewisse Freiheiten und Chancen zu haben, sind es wert jeden Tag den Wecker klingeln zu lassen.

Lucie Harazim

Lucie Harasim (Bildquelle: Lucie Harasim)

Lucie Harasim ist eine Tschechin und arbeitet als Vorstandassistentin bei einer biotechnologischen Firma in Leipzig.

nachbarland-cz.de: Frau Harasim, welche Aufgaben hat eine Vorstandassistentin in der COVID-19 Zeit?

Lucie Harasim: Die Aufgaben wurden eher einseitig. Anstatt von Dienstreisen organisiere ich groβe Menge Videokonferenzen und Telefonkonferenzen. Viele Kollegen befinden sich auch im Homeoffice und rufen mich häufiger an. Dann klären wir organisatorische Angelegenheiten und vergleichen die Kalender der Mitarbeiter nach Erreichbarkeit. Schnell und effizient im Büroalltag die Entscheidungen zu treffen ist eine Kunst. Sehr hilft dabei, wenn man genau weiß, was man erreichen möchte und hat über das Projekt eine konkrete Vorstellung und kennt die Ziele. Meistens ist es für mich aber relativ einfach Entscheidungen zu treffen. Manchmal habe ich aber nur Zweifel, ob ich genug vorsichtig war, und alle Risiken und Parameter der Sache betrachtet habe. Das Anspruchsvollste, was man jeden Tag meistern muss, ist Ruhe zu bewahren, an eigenen Fähigkeiten nicht zu zweifeln, eigenes Wohlbefinden und Selbstachtung stets im Blick zu haben.

Manfred Bock Arzt

Manfred Bock (Bildquelle: Šárka Vacková)

OMR Dr. Med. Manfred Bock ist 84 Jahre alt und arbeitet als deutscher Facharzt für Innere Krankheiten und Cardiologie. Er unterstützt seine Gesundheit dadurch, dass er jeden früh die fünf Tibeter treibt.

nachbarland-cz.de: Herr Bock, ist für Sie die Corona-Zeit die schwerste Lebens- und Arbeitsphase?

Manfred Bock: Ich habe im Jahr 1960 als Arzt angefangen zu arbeiten. Sehr wichtig war für mich die dreimonatige Seefahrt im nordlichen Atlantik, wobei ich als Arzt tätig war. In der Zeit wurde Hamburg überflutet. Dies war die schwerste Zeit meines Lebens. Ich erinnere mich daran, als ein Mann um 2.30 Uhr früh an meiner Tür klopfte. Er hatte Blinddarmentzündung. Durch den Seesturm konnte ich ihn nicht operieren. Aller Geräte sind heruntergefallen. Unser Schiff war 3000 Tonnen schwer und man konnte das Schiff mit dem Flugzeug nicht transportieren, beziehungsweise das wäre zu teuer. Also die Matrosen und ich, wir sind eine Stunde geppadelt, um zu einem anderem Schiff zu gelangen, weil sie nicht so nah sein durften. Und wir haben den Kranken transportiert. Es war Minus 11 Grad. Alles war weihnachtlich. Nach der Seefahrt bin ich dann nach Hause gefahren und ich habe mich als Arzt an der nächsten Seefahrt teilgenommen. Ich war 6 Monate lang unterwegs. Wir sind durch Frankreich, Syrien, Sues Kanal, Aden, Sri Lanka, Malaka Strasse, Singapur, China, Changhei, Nord Korea, Japan (Osaka), Indien, Sudan, Türkei und dann nach Hause gefahren. Nach der Wende habe ich eine neue Wohnung in der Mozartstraβe in Chemnitz übernommen und die Wohnung gebaut. Da waren keine Fensterscheiben. Nichts. Trotzdem war für mich die DDR-Zeit die Schönste. Mittlerweile hat man Angst in den Briefkasten zu schauen, ob man was Falsches getan hat. Man wird überstossen. Die Zeiten haben sich gewandeln. Wir leben jetzt in der Corona Zeit, die gefährlich ist, weil es eine Menge Tote gab und ich glaube, die Maskenpflicht ist sinnvoll, sonst hätten sie es nicht eingeführt, oder? Es ist die einzige Möglichkeit. Aber es ist nicht meine schwerste Lebens– oder sogar Arbeitsphase.

Jan Pirk

Jan Pirk (Bildquelle: IKEM)

Prof. Prof. MUDr. Jan Pirk, DrSc, ist ein 72-jähriger tschechischer Leiter des IKEM-Kardiozentrums und ein führender Herzchirurg. Um so lange wie möglich gesund zu bleiben, trainiert er jeden Morgen 25 Minuten lang und betreibt täglich 60 Minuten lang einige sportliche Aktivitäten, wie zum Beispiel Laufen, Schwimmen oder Radfahren.

nachbarland-cz.de: Herr Pirk, welche Krankheit hat Sie in Ihrer bisherigen Karriere am meisten überrascht?

Jan Pirk: Nach meinem Abschluss an der Medizinischen Fakultät der Wirtschaftsuniversität in Prag bin ich in die chirurgische Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Nymburk eingetreten, wo Patienten mit klassischen chirurgischen Erkrankungen, d.h. leichten und schweren Verletzungen wie Frakturen, Schnitten und chirurgischen Erkrankungen wie Blinddarmentzündungen, Darm-, Hernien-, Gallenblasenoperation behandelt wurden. Später arbeitete ich in der Abteilung für Herz-, Kreislauf- und Transplantationschirurgie des Instituts für klinische und experimentelle Medizin in Prag und absolvierte ein Praktikum im Ochsner Medical Foundation Center in New Orleans in den USA in der Abteilung für Herzchirurgie. Ich habe auch als Berater in der Abteilung für Herzchirurgie des Universitätsklinikums in Odense in Dänemark gearbeitet. Später wurde ich zum Leiter der Abteilung für Herz-, Kreislauf- und Transplantationschirurgie IKEM ernannt. Gleichzeitig bin ich seit 1995 Leiter des IKEM-Kardiozentrums, und seit 30 Jahren kommen ausschließlich Patienten mit Herzerkrankungen zu mir. Was mich jedoch am meisten überraschte, war die allgemeine Atmosphäre rund um die Infektionskrankheit Covid-19 und das völlig unvernünftige Tragen von Mundschutzmaske beim Sport, im Freien und beim Spazieren durch den Wald, wenn sich niemand in einer Entfernung von einem Kilometer befindet. Diese Krankheit ist am gefährlichsten für Menschen, die einen langfristig ungesunden Lebensstil geführt haben, der hauptsächlich zu Fettsucht führte, beispielsweise im Zusammenhang mit Diabetes, und infolge des Rauchens eine Lungenkrankheit hatte. COVID-19 kann für diese Patienten geradezu gefährlich sein. In anderen Fällen handelt es sich um eine häufige Grippekrankheit. Ich sehe eine große Gefahr in den Medien, die die Menschen in große Angst und Stress versetzt haben. Sie vernachlässigen andere gefährlichere Krankheiten. Ich kenne mehrere unnötige Todesfälle, bei denen Menschen Angst hatten, einen Arzt mit einer anderen, anfangs banalen Krankheit aufzusuchen, die sich so stark entwickelte, dass sie daran starben, um nicht mit COVID-19 infiziert zu werden.

Das könnte Sie auch interessieren